Wolkenkratzer immer gleich? Von wegen!

12. Juli 2019

Die Weltbevölkerung wächst. Gleichzeitig zieht es einen immer größer werdenden Anteil der Menschheit in die Städte. Die Konsequenz ist eine zunehmende Verdichtung, und die geht, insbesondere in den Metropolen, praktisch nur noch nach oben. Salopp ausgedrückt, brauchen die dichtesten Städte Wolkenkratzer, um dem steigenden Bedarf an Wohn- und Arbeitsraum gerecht zu werden. Wie diese üblicherweise aussehen, kennt man: mehr oder weniger lineare und natürlich hohe, schmale Riegel. Diese Form findet sich in aller Welt und dürfte mehr als 99 Prozent aller Hochhausriesen ausmachen. Es gibt allerdings auch Architekten, die explizit neue Typologien für superhohe und superdichte Gebäude entwickeln.

VIA 57 West

© Nic Lehoux, VIA 57 West

 

Dass der Quader- oder Quasiquader die am weitesten verbreitete Form für Wolkenkratzer ist, hat einen sehr einfachen Grund: er ist schlicht am berechenbarsten. Dank moderner Computertechnologie sind die Zeiten, in denen solch einfache Formen vonnöten waren, weil man etwa die Statik noch per Hand berechnen musste, allerdings längst passé. Warum also nicht den Städten, die ja durch zunehmende Dichte nicht unbedingt auch zunehmend schöner werden, zu Gebäuden verhelfen, die die Dichte etwas interessanter oder gar lebenswerter gestalten? Zum Beispiel, indem man die „Natur“ stärker einbezieht.

 

Wie gemalt: MADs Shanshui-Architektur

Keine Region der Welt ist von der zunehmenden Urbanisierung und Verdichtung so betroffen wie Ost- und Südostasien. Dementsprechend entstehen hier die meisten Wolkenkratzer – und auch neue Konzepte, wie man diese verbessern kann. Ein Vordenker für eine Neuausrichtung der gängigen Verdichtungsstrategien ist Ma Yansong. Der Firmengründer des Pekinger Architekturbüros MAD Architects wollte eine neue Hochhaus-Typologie kreieren, die der Umwelt eine größere Aufmerksamkeit schenkt. Gemeint ist damit nicht etwa in erster Linie ein Bauen mit guter Ökobilanz. Vielmehr geht es um Gebäude, die natürliche Gegebenheiten nachbilden und so die Grenzen zwischen städtischer- und Naturlandschaft verschwimmen lassen. Ma Yansong nennt dies „Shanshui-Architektur“.

 

Chaoyang Park Plaza

Chaoyang Park Plaza

© Hufton + Crow, Chaoyang Park Plaza


Shanshui ist ein Begriff aus der traditionellen chinesischen Landschaftsmalerei, der wörtlich „Berg-Wasser“ bedeutet – beides zentrale Elemente dieser Malerei. MAD übersetzt nun diese Kunstform in Architektur. Dabei entstehen Gebäudeformen, die stark an die klassische Darstellung von Berglandschaften erinnern. Ebenso ist auch, wie in den Gemälden, Wasser von zentraler Bedeutung. Dieses wird etwa in Form künstlicher Wasserfälle und Teiche in Szene gesetzt. Daneben trägt zudem eine extensive Bepflanzung zur „Vernatürlichung“ dieser Architektur bei.

 

Chaoyang Park Plaza

Chaoyang Park Plaza

© Hufton + Crow, Chaoyang Park Plaza

 

Ein Beispiel für diese Typologie wurde 2017 mit dem Chaoyang Park Plaza in Beijing fertiggestellt. Aus dem Bürokomplex, bestehend aus zehn Gebäuden, stechen besonders zwei gewaltige Türme (der höhere 120 Meter hoch) hervor, die eindeutig den sanft gekrümmten Bergen der Shanshui-Malerei nachempfunden sind. Die kleineren Bürogebäude hingegen erinnern mit ihren sandwichartigen verschobenen Ebenen eher an geschichtete Gesteinsplatten. Der Eindruck einer Architektur, die der Natur entspringt, lässt sich wunderbar auf den Bildern des Architekturfotografen Iwan Baan nachvollziehen. Auf diesen wirken die Türme im Pekinger Smog geradezu poetisch, wie Berge im Nebel.

 

Grüne Pyramide in Manhattan: BIGs „Courtscraper“ VIA 57 West

Nicht nur in Asien beschäftigt man sich mit neuen Lösungen für große Dichte. Ein bereits preisgekröntes neues Projekt befindet sich in New York: VIA 57 West von BIG. Mit diesem 2016 fertiggestellten Gebäude schuf auch die Bjarke Ingels Group eine völlig neue Hochhaustypologie, und zwar indem sie zwei etablierte Bebauungsformen miteinander kombinierte. So ist VIA 57 West ein Zusammenspiel aus einem typischen New Yorker Wolkenkratzer und einer europäischen Blockrandbebauung. Zu Englisch: ein „Courtscraper“.

VIA 57 West

VIA 57 West

© Iwan Baan, VIA 57 West

 

Vereint ergeben beide Typologien eine extrem steile, 142 Meter hohe, schiefe Pyramide, die sich zur Mitte hin öffnet und dabei einen parkartigen Innenhof umschließt. Letzterer besitzt kurioserweise die gleichen Proportionen wie Kopenhagens Olmsted Park – nur 13.000-mal kleiner. Dieser Mini-Park bildet nicht nur das förmliche, sondern auch das konzeptionelle Herzstück des Projekts. BIG ging es nämlich maßgeblich darum, in postindustrieller Manier etwas Grün in den „urbanen Stoff“ Manhattans einzuweben.

 

VIA 57 West

© Nic Lehoux, VIA 57 West


Fazit

Beide Typologien ähneln einander in ihrem Versuch, die „Natur“ in die Architektur einzubeziehen, entwickeln dabei aber völlig unabhängige Formensprachen. VIA 57 West erhielt für die ihre den Internationalen Hochhauspreis sowie den CTBUH Skyscraper Award. Während das New Yorker Projekt Althergebrachtes neuverbindet, stellt auch die Shanshui-Typologie in gewisser Weise eine Rückbesinnung dar. Ma Yansong versteht sie als Annäherung an die um einen Einklang mit der Natur bemühte traditionelle chinesische Architektur, deren Gebäude sich mittels einer extrem horizontalen Bauweise unauffällig in die Landschaft einfügen. Da letzteres bei hoher Dichte unmöglich ist, ist hier die Nachbildung natürlicher Topographie womöglich noch die beste Lösung.


 

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