Moderne Freiform-Architektur: Mehr Schwung durch digitale Innovationen

3. Juli 2018

Spätestens Frank Gehrys Guggenheim Museum in Bilbao ließ keinen Zweifel mehr: Das Ausbrechen aus dem Kanon traditioneller Gebäudestrukturen kann in eine Achterbahnfahrt der Formen münden. Mit den Anfängen moderner Entwurfssoftware wurde es möglich, „Schwung“ in die orthogonale Architektur zu bringen. Doch auch heute noch hat Freiform-Architektur den Ruf, zu kompliziert und zu teuer zu sein. Ist hier ein Wandel in Sicht? Wir blicken auf die noch junge Disziplin und die neuesten Entwicklungen.

Guggenheim Museum Bilbao© By Phillip Maiwald (Nikopol) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], from Wikimedia Commons; Guggenheim Museum Bilbao

Wegbereitung durch „organisches Bauen“

Die für die Freiform-Architektur typischen ausladenden, runden, biomorphen Formen fanden ihre Wegbereiterin schon in der organischen Architektur. Deren Pioniere Louis H. Sullivan, Antoni Gaudí, Rudolf Steiner, Frank Lloyd Wright, Hugo Häring u.a. verfolgten einen anthroposophischen Anspruch, mit dem sie sich vom technikzentrierten Konzept der sachlichen Moderne abgrenzen wollten: Sie hatten die Vision von Gebäuden, die sich organisch in ihre natürliche Umwelt eingliedern und sich an den Bedürfnissen ihrer Bewohner orientieren sollten.

In den 1950er und 60er Jahren verliehen dann Hans Scharoun (Philharmonie Berlin, 1956-1963) und Alvar Aalto (Heilig-Geist-Kirche Wolfsburg, 1962) dem organischen Bauen neue Impulse und schufen Werke von Weltrang. Als Meisterwerk der modernen organischen Architektur gilt Frank Lloyd Wrights Solomon R. Guggenheim Museum in New York (1943-1959).

Philharmonie Berlin© By Manfred Brückels [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], from Wikimedia Commons; Philharmonie Berlin

Die 90er: Anfänge der digitalen Architektur 

In den späten 1990er Jahren war in Gestalt der 3D-Animation die Entwurfssoftware für Architekten dann erstmals so weit entwickelt, dass Planer komplexe, fließende, organische Formen auf dem Rechner – die sogenannten Splines – in die virtuelle Dimension bringen konnten. Frank O. Gehry, Greg Lynn, Ben van Berkel, Peter Eisenman und Nicholas Grimshaw schafften es erstmals, die Sprache der skulpturalen Architektur im realen Raum zu etablieren. Die Freiform-Architektur war als Kind des anbrechenden digitalen Zeitalters geboren.

Frankfurter Messehalle von Nicholas Grimshaw© iStock / HarriesAD; Frankfurter Messehalle von Nicholas Grimshaw

Teuer und exzentrisch: Der Blob 

Zu den umstrittensten Ausprägungen der Freiform-Architektur gehören die Blobs („Binary Large Objects“ oder auch deutsch: Kleckse). In diesen spektakulären Bauwerken, die oft als Museen oder Kulturzentren das Stadtbild prägen dürfen, löst sich die organische Architektur vollends von der engen Verbindung mit Landschaft und Natur und feiert sich selbst als Kunstform in ausufernden Linien und Schwüngen. Blobs wurde daher häufiger “leerer Egozentrismus” vorgeworfen – ihre Umsetzung war zudem oft kompliziert und zeitaufwändig und verschlang in der Regel dreistellige Millionenbeträge.

"Blob" Selfridges in Birmingham© iStock / lloyd-horgan; "Blob" Selfridges in Birmingham

Freiform-Architekten als „digitale Baumeister“

Mit der fortschreitenden Entwicklung moderner CAD-Programme wurde die Umsetzung von Entwürfen der Freiform-Architektur jedoch sehr viel einfacher und zügiger ermöglicht. Die parametrische Modifizierung erspart viele Arbeitsschritte. Und auch die Überführung der digitalen Entwürfe in eine wirtschaftliche Produktion ist greifbarer geworden: Mithilfe der neuen 3D-Druckverfahren werden organische Formen in kurzer Zeit anhand von Modellen plastisch und verständlich – und zwar in flexibel wählbaren Maßstäben und mit realitätsnahen Oberflächen.

Erster Holzbau mit freier Formensprache 

Wegweisend für die aktuellsten Entwicklungen in dem Bereich ist etwa der von Coop Himmelb(l)au geplante weltweit erste Holzbau in freier Form namens PANEUM – auch „Wunderkammer des Brotes“ (2017) genannt. Das Bauwerk besteht aus mit 3D CNC-Technologie millimetergenau vorgefertigten, miteinander verzahnten Holzbauteilen. Diese an LEGO erinnernde Technik garantierte kurze Bauzeiten, Effizienz am Bau und ein faszinierendes Ergebnis. „3D-Plotten, 3D-Fräsen und mit Robotern zu bauen – so sieht die Zukunft des Bauens aus“, so Wolf D. Prix, CEO und Design Principal von Coop Himmelb(l)au.

Paneum, Asten (Österreich)© Flickr / Aryukh Igor; Paneum, Asten (Österreich)

Innovation durch Interaktion 

Die größte Innovation in der digitalen Architektur ist im Grunde die Vernetzung aller am Projekt Beteiligten durch den Einsatz neuester Software: Schnelle, cloudbasierte Zusammenarbeit, der Austausch von Modelldaten inklusive Freiform-Geometrien und Bewehrung, die direkte Interaktion mit Planungspartnern in der ganzen Welt. 3D-Modelle dienen heutzutage als Koordinationswerkzeug, dessen kohärentes Datenfeld sich idealerweise bis in die Konstruktionspläne und die gebaute Realität hinein entfaltet.

Die Freiform-Architektur steht noch am Anfang ihrer Möglichkeiten – macht aber Riesenschritte in Richtung einer einfacheren, schnelleren und wirtschaftlicheren Realisierung. Das gilt auch für ihre „bodenständige“ Sparte, den Ingenieurbau: Hier sorgt zum Beispiel 3D-Software mit leistungsstarken Bewehrungsfunktionen für Quantensprünge im Brückenbau.


 

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