Ein neues Dach für Notre-Dame

21. August 2019

Nach der Zerstörung des Dachs und Vierungsturms von Notre-Dame lieferten zahlreiche Architekten kreative Neuentwürfe. Umsonst, wie sich inzwischen herausstellte.

 

Rein objektiv betrachtet, war es keine wirkliche Katastrophe, war doch niemand körperlich zu Schaden gekommen. Nichtsdestotrotz ging sämtlichen Franzosen ein Stich durchs Herz, als am 15. und 16. April 2019 mit der Kathedrale Notre-Dame de Paris eine der berühmtesten Kirchen der Welt brannte. Dass hierbei gefühlt ein Stück Frankreichs in Flammen aufging, bewies die weltweite Anteilnahme – und der Wille zu enormen Spendensummen. Innerhalb kürzester Zeit sicherten Großunternehmen wie Arnault, Bettencourt-Meyers oder Pinault dreistellige Millionenbeträge für den Wiederaufbau zu. Unterdessen wartete die Architektenzunft bald mit zahlreichen Entwürfen für ein neues Dach auf. Diese kamen jedoch vermutlich, ebenso wie Emmanuel Macrons Wiederaufbauversprechen, verfrüht.

 

Die Silhouette gleicht dem Originalzustand, doch bei Tageslicht entpuppt sich dies als Schein: Glas wölbt sich über den ehrwürdigen Sakralbau und schlägt eine Brücke zwischen Geschichte und Gegenwart. Der Zwischenraum unter dem Dach, der wegen seiner ursprünglich verbauten 1.300 Eichenbäume einst als „Wald“ bezeichnet wurde, wird nun unter dem Glasgewölbe zum „Garten“ mit lebenden Bäumen, Sträuchern und Blumen. Diese Vision des belgischen Visualisierungsbüros Miyisis Studio ist nur eine von vielen, die bereits kurz nach der Teilzerstörung der Kathedrale kursierten. Dächer aus Glas oder gar Kristall zählten zu den häufigsten Motiven. Dass einer dieser Entwürfe letztendlich eine Chance auf Verwirklichung hat, ist zum jetzigen Stand der Dinge allerdings zu bezweifeln.

 

Spaßbremse für Kreative

Grund für die zahlreichen Entwurfsideen war Präsident Macrons frühes Versprechen eines Wiederaufbaus der Kirche innerhalb der nächsten fünf Jahre, pünktlich zu den Olympischen Spielen. Gleichzeitig rief der Staatschef zu einer „originellen“ Rekonstruktion auf, Premierminister Eduard Philippe sprach schon von einem Architektenwettbewerb – mit originellen Entwürfen zur Folge. Ende Mai wurde schließlich von Unterhaus und Senat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zwar die Restauration binnen des versprochenen Zeitraums festlegte. Allerdings bestimmte dieses zugleich, dass der letzte visuelle Zustand von Notre-Dame wiederhergestellt werden sollte.

 

Eine Spaßbremse für Kreative einerseits, dürfte dies andererseits wohl dem Wunsch der französischen Mehrheit entsprechen. Doch neben dem Appell des Präsidenten für eine „originelle“ Rekonstruktion wankt auch dessen nunmehr gesetzgewordenes Versprechen bezüglich des zeitlichen Rahmens für den Wiederaufbau. Denn während zwar der Chefarchitekt für historische Bauwerke, Philippe Villeneuve, den Zeitplan für möglich hält, mahnten zuvor bereits 1.170 Experten in einer Petition zur Umsicht. Die Restaurateure und Architekten forderten eine gründliche Schadensanalyse, ehe man einen kühnen Zeitplan für den Wiederaufbau benenne.

 

Ähnliche Bedenken äußerte auch die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner, die die deutschen Hilfen zum Wiederaufbau koordiniert. Sie steht zudem den Ausnahmeregelungen für den Denkmalschutz (neben diesen werden auch Umweltschutzauflagen umgangen) skeptisch gegenüber. Bleibt also zu hoffen, dass der eigentlich aus der Liebe zum Bauwerk geborene hastige Wiederaufbau nicht noch mehr Schaden anrichtet.


 

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