Architektur aus der Röhre

9. Januar 2019

Wer sprichwörtlich in die Röhre guckt, geht sozusagen leer aus. Doch wie ist das eigentlich, wenn man aus der Röhre herausguckt? Ginge es nach James Law, könnte man diese Frage demnächst in Hong Kong beantworten. Der Architekt hat als Mittel gegen Wohnungsnot spezielle Wohnmodule entwickelt, die auf Betonrohren basieren, wie man sie sonst zum Beispiel für Kanalschächte benutzt. Diese ließen sich günstig herstellen, leicht transportieren, montieren und auch stapeln. Vor allem könnten aber in ihnen Menschen mit geringem Einkommen würdevoller wohnen. 

 

Zugegeben, ein „Kanalschacht“ mag für die meisten nach keinem erstrebenswerten Zuhause klingen. In Anbetracht der astronomisch hohen Mietpreise in Hong Kong dürften die von James Law Cybertecture entwickelten Wohnröhren vielen allerdings geradezu luxuriös anmuten. Der Wohnungsmarkt in der chinesischen Metropole zählt zu den unbezahlbarsten der Welt und die Stadt ist bekannt für ihre berüchtigten „cage homes“¹. Dabei wird Wohnraum in Mietwohnungen in kleinstmögliche noch menschenerträgliche Einheiten unterteilt, welche wahrhaftig aus Käfigen bestehen, durch die man sich und seine Habe vor Eindringlingen schützt. Eine etwas privatere, aber auch klaustrophobischere Variante sind sogenannte „coffin cubicles“², bei denen die Käfiggitter durch dünne Holzwände ersetzt werden.

 

Alles in zwei Rohren

James Laws Wohnröhren wären von solcher Beklemmung weit entfernt. Der Prototyp besteht aus zwei zusammengefügten Betonrohren mit einem Durchmesser von jeweils 2,5 Metern, was zumindest schon einmal eine normale Raumhöhe gewährleistet. Ebenso sind alle Grundfunktionen in dem Mikrowohnkonzept untergebracht: In der einen Röhre, welche an einem Ende über eine Glaswand visuell mit der Außenwelt verbunden ist, befindet sich das Schlaf-, Arbeits- und Wohnzimmer mit diversen Regalen und ausklappbarer Schlafbank. Die Andere beherbergt eine Küche, bestehend aus Mikrowelle und Kühlschrank, und ein abgetrenntes Bad mit Dusche und Toilette.

 

Die Kunst der Zweckentfremdung

Der große Vorteil der Wohnröhren besteht darin, dass für den Rohbau etwas umfunktioniert wird, was bereits industriell hergestellt wurde. Damit gleicht das Konzept dem Zweckentfremden von Schiffscontainern in der Architektur. Ähnlich wie bei Containerbauten sollen die Rohrmodule auch übereinandergestapelt werden können. An sich ließen sich bis zu vier Schichten der rund 20 Tonnen schweren Module errichten. Mit zusätzlichem Tragwerk wären es noch weitaus mehr. So könnte man etwa schmale Baulücken schnell und flexibel mit bezahlbarem Wohnraum füllen. Im Vergleich zu Stahlcontainern hätten die Betonmodule auf jeden Fall bauphysikalische Vorteile, allerdings würde die runde Form nach einer zusätzlichen Fixierung verlangen.

 

Für die Ärmsten zu teuer

Die Röhrenwohnungen könnten laut James Law für umgerechnet 12.500 Euro pro Modul hergestellt und für unter 340 Euro monatlich vermietet werden. Den Wohnungsmarkt mit Durchschnittspreisen um die 1.700 Euro für Einzimmerapartments würde dies ein Stückweit entlasten. Als Zielgruppe nennt er junge Leute mit geringem Einkommen, die ein bis zwei Jahre in den Röhren wohnen sollen, bis sie besser verdienen.

 

Eine Alternative für die cage homes und coffin cubicles wären sie allerdings nicht. Die teilweise kaum über einen Quadratmeter großen „Wohnsärge“ sind zwar mit zwischen ca. 180 und 260 Euro geradezu irrsinnig teuer, befinden sich aber immer noch in einer geringeren Preisklasse als die Rohrmodule mit rund zehn Quadratmetern. So würden Hong Kongs Ärmste auch bei einer Verwirklichung von Laws Konzept weiterhin in die Röhre gucken, statt aus ihr heraus.


¹ https://allthatsinteresting.com/cage-homes-hong-kong#1

² https://www.theguardian.com/cities/gallery/2017/jun/07/boxed-life-inside-hong-kong-coffin-cubicles-cage-homes-in-pictures

 

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